Mehr zu unseren Vorträgen auf dem 42. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS)
Der DGS-Kongress in Duisburg stand unter dem umfassenden Thema »Transitionen«.
In der Ad-hoc-Gruppe wurde dieses Rahmenthema zum Anlass genommen, um über »Transitionen der (Un-)Endlichkeit. Sterben, Tod und Trauer im gesellschaftlichen Wandel« zu diskutieren. Wissenschaftler*innen des TRAUERFORSCHUNGSINSTITUTS und des »Arbeitskreises Thanatologie« referierten u.a. zu Aspekten der Frage, wie sich soziale Praktiken und institutionelle Strukturen im Umgang mit dem Lebensende in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels verändert haben.
Beginnend schenkte PD Dr. Thorsten Benkel den Grenzregimen des Sozialen Aufmerksamkeit. Hierfür diskutierte er, wie soziale Verbindungen mit dem biologischen Tod keineswegs enden. Manche Trauernde imaginieren beispielsweise hypothetische Ratschläge ihrer Toten und schöpfen aus der Vorstellung einer über das Lebensende hinausreichenden Beziehung Trost. Andere wiederum finden auf alternativen Wegen zu (para-)sozialen Interaktionsmöglichkeiten. Und wieder andere bedienen sich der Techniken der Künstlichen Intelligenz und begegnen Verstorbenen in Form von Bildschirmavataren. Dies alles widerspräche nach Benkel der lange etwa in der Psychoanalyse verfolgten Haltung, man müsse nach dem Tod eine Beziehung beenden. Perspektiven wiederum, den Tod nicht als Ende, sondern als Fortsetzung bestehender Beziehungen unter veränderten Vorzeichen zu betrachten, existierten bereits in den frühesten Hochkulturen. Noch nie, so Benkel, habe es so vielen Methoden wie heute gegeben, die mithilfe von Annäherungstaktiken technischer, sozialer und kognitiver Art das Beziehungsende zu überbrücken versuchen. Damit fokussierte Benkel neue Fragen nach den Existenzbedingungen des Sozialen.
Prof. Dr. Miriam Sitter rückte Pierre Bourdieus Sozialtheorie in den Vordergrund, zumal mit dieser davon ausgegangen werden könne, dass sich in den persönlichen Bedürfnissen Trauernder einschließlich ihrer Trauerweisen soziale Zugehörigkeiten widerspiegeln. Bei allen potentiellen Individualisierungstendenzen von Trauer, zu deren Zunahme die Digitalmoderne zweifellos beiträgt, ist davon auszugehen, dass individualisierte Bewältigungsformen der Trauernden auch von ihrer Klassen- und Schichtzugehörigkeit abhängen. Diesbezüglich sei daher auch zu überlegen, inwiefern sich Trauer körperlich einschreiben und weitervererbt werden kann. Ausgehend von diesen Annahmen wurde im Vortrag von Frau Sitter auf Bourdieus Analysen des kulturellen Konsums und diesbezüglicher habitueller Verhaltensweisen rekurriert. Sie zeigte entlang aktueller Traueranzeigen und zusätzlicher Recherchen von Trauerszeremonien auf, wie sich in privat inszenierten Begräbnissen die symbolische Subversion bourgeoiser Rituale ostentativ zur Schau stellen kann. Sitter entfaltete abschließend ihre These, dass Trauer in der Lage ist, die Distinktion zu stören. Daher müsse mit dieser potenziellen Distinktions-Disruption der Trauer das bourdieusche Konzept eine Erweiterung um biografische sowie inter-/intragenerationale Perspektiven erfahren, um ein hinreichend sensibilisiertes Verständnis für die Trauer von Menschen entwickeln zu können.
Matthias Meitzler M.A. sprach über den Heimtiertod, der in den vergangenen Jahren deutlich an lebensweltlicher Relevanz gewonnen hat. Diese gestiegene Relevanz sei nach Meitzler Ausdruck eines langfristigen Wandels privater und familialer Lebensformen, der nicht zuletzt das Verhältnis zwischen Mensch und Heimtier verändert habe. Das Lebensende eines Heimtieres stellt daher ein höchst krisenhaftes, affektuell erschütterndes Erlebnis dar, das analog zum Tod eines geliebten Menschen spezifische Trauerreaktionen hervorruft. Anhand qualitativer Forschungen auf über 30 Tierfriedhöfen skizzierte Meitzler mit eindrücklichen Bildern die soziale Bedeutung des Heimtiertodes im Spannungsfeld von affektiver Nähe, kultureller Symbolik und institutioneller Praxis.
Im Weiteren referierte Dr. Ekkehard Coenen über den Medienwandel und Formen des Tötens. Töten sei ein Handeln an der Grenze zwischen Leben und Nicht-Leben, das in ganz unterschiedlichen Formen auftreten kann – etwa als Mord, Hinrichtung, Suizid, Abtreibung oder Schlachtung. Diese Tötungshandlungen sind jedoch nicht ausschließlich das Werk menschlicher Akteur*innen. Coenen zeigte auf, wie Medien in die Vollzugslogik des Tötens eingreifen, gar bestehende Formen Formen des Tötens nachhaltig verändern. Medien strukturieren, was als Tötung gilt, wem Handlungsmacht zugeschrieben wird und unter welchen Voraussetzungen letales Handeln als legitim, sichtbar oder skandalisierbar erscheint. Sie verschieben das Verhältnis von Singularität und Serialität: Während vormoderne Tötungen oft als singuläre Ereignisse verstanden wurden, ermöglichen moderne Medien ihre Verkettung, Wiederholbarkeit und Automatisierung. Der Medienwandel sei demgemäß eng mit der Entwicklung und Transformation von Tötungsformen verknüpft.
Zum Abschluss widmete sich Mirco Spiegel M.A. den Formen eines Weiterlebens nach dem Tod. Damit verbunden sind u.a. vielfältige Versuche, in Verbindung mit den Verstorbenen zu treten. Spiegel zeichnete historische Entwicklungslinien nach und zeigte die Grundlagen der Künstlichen Intelligenz, wie sie heute verbreitet ist. Technischer Fortschritt (KI) ermögliche nach Spiegel jedoch erst in den letzten Jahren einen praktikablen Einsatz von KI im Alltag – die Systeme verbreiten sich nun aber rasant und besitzen bereits Einfluss auf unsere soziale Wirklichkeit. Spiegel zeigte einprägsame Beispiele, wie Angebote ein digitales Weiterleben über und mit KI versprechen. Er diskutierte u.a. die Frage, was das Eindringen solcher Technologien für einen Bereich, der für die meisten Menschen außeralltäglich ist, bedeuten kann und wie KI insbesondere im Feld von Sterben, Tod und Trauer wirkt.
