Mehr zum Vortrag
Haben Sie etwas bei sich, das Ihrer verstorbenen Großmutter gehörte? Oder haben Sie sehr bewusst etwas aufgehoben, das Ihr verstorbener Vater immer bei sich trug? Haben Sie vielleicht das Schnuffeltier Ihrer verstorbenen Tochter dort platziert, wo Sie es regelmäßig sehen können?
Die angelsächsische Forschung hat uns schon vor einigen Jahren gelehrt und gezeigt, dass derartig aufbewahrte Gegenstände die Funktion besitzen, ein Verbindungsmoment in Form eines gegenwärtigen Links zur verstorbenen Person herzustellen. Tony Walter (1999, S. 64) – ein anerkannter Thanatosoziologe aus England – schreibt, dass er noch eine Uhr seines Großvaters habe, einen Kaffee-Tisch, der einem verstorbenen, lieben Nachbarn gehörte und: er habe ebenso eine Jacke aufbewahrt, die sein Vater trug. Das zentrale an Tony Walters Beispielen für diese Aufbewahrung ist, dass er für seine Beweggründe, warum er diese Gegenstände aufbewahrt, auch Folgendes angibt: Diese Dinge haben eine Geschichte zu erzählen.
In ihrem Berliner Vortrag zum Thema »Jetzt und damals. Gegenstände als Erinnerungsgeneratoren« sprachen Thorsten Benkel und Miriam Sitter über derartige Erinnerungsartefakte in ihrer Funktion als Geschichtenerzähler und Erinnerungsgeneratoren. Sie blickten daher auf trauernde Menschen, die sich an einen verstorbenen geliebten Menschen in Verbindung mit Gegenständen erinnern, die diese Person zu Lebzeiten verwendet hat. Dazu gehören beispielsweise Kleidungs- und Möbelstücke, eine Brille oder manchmal auch eine Haarsträhne. Das Souvenir erhält in diesem Fall durch den Tod eine neue Sinnaufladung. Weil die Person, die diese Gegenstände verwendet hat, sie nicht mehr in Gebrauch nehmen kann, scheinen sie überflüssig zu werden. Doch gerade dieser Status jenseits der alltagsweltlich-trivialen Verwendung erlaubt es Hinterbliebenen, sich gedenkend mit den Dingen der Toten zu befassen.
In all diesen Momenten der Herstellung einer Verbindung und eines Wiedererweckens von Anwesenheit liegt die Möglichkeit und Bedeutung des Generierens von Erzählungen bzw. von bestimmten Momenten und Geschichten, was sich alles zugetragen hat, als der oder die Verstorbene noch lebte. In genau diesen Erzählungen, so Dr. Miriam Sitter, »liegt die Kraft der Erinnerungen«.
Thorsten Benkel und Miriam Sitter diskutierten im Anschluss des Vortrags über verschiedene Ergebnisse ihrer Forschungen und verwiesen auf analytische Betrachtungen, um zu verstehen, in welcher Weise sich Erinnerungsbezüge für Hinterbliebene als trostvoll und funktionalistisch zugleich herausstellen. Mit ihren Perspektiven lud der Beitrag im Weiteren zur Betrachtung von aktuellen Diskursen über Erinnerungskultur(en) und über den Status des verbindenden Seins zwischen Jetzt und Damals ein.
Hier finden Sie die erwähnte Literatur von Tony Walter:
- Walter, Tony: On Bereavement. The Culture of Grief. Maidenhead and Philadelphia 1999.